Die Redaktion des StadtPanoramas im Gespräch mit Jacqueline Badran, SP Nationalrätin und Wohnungspolitikerin
StadtPanorama: Viele Mieter:innen sind schon lange konfrontiert mit stark steigenden Mietzinsen, trotz historisch tiefen Zinsen bei Hypotheken. Wie erklärst du diesen Widerspruch?
Jaqueline Badran: Das ist nicht nur ein Widerspruch, das ist Verfassungsbruch! Die Mietrenditen in der Schweiz sind in der Verfassung und durch die Rechtsprechung gedeckelt. Aber die Immobilien-Firmen, die Banken und die Pensionskassen halten sich nicht daran. Das führt zu rund 10 Milliarden Franken pro Jahr – also ca. 370.- pro Haushalt, pro Monat – die den Mietenden unrechtmässig zu viel aus der Tasche gezogen wird.
Welches sind nun die wichtigsten Massnahmen zur Eindämmung der überrissenen Mietpreisentwicklung?
Grundsätzlich gibt es zwei Wege aus dem Mietwucher. Erstens die Durchsetzung des an und für sich klugen Mietrechtes – das will die Mietpreis-Initiative des Mieterverbandes.
Zweitens: Die Umschichtung der Immobilieneigentümer von gewinnorientierten zu nicht-gewinnorientierten Eigentümern.
Brandaktuell ist die “Initiative für mehr bezahlbare Wohnungen” im Kanton Zürich. Sie will den Gemeinden mit einem Vorkaufsrecht die Möglichkeit geben, einfacher und mehr Boden zu kaufen. Das ist essentiell, um den Boden dem renditeorientierten Markt zu entziehen. Und dafür zu sorgen, dass nicht das anonyme Kapital sich überall den Boden zunehmend unter den Nagel reisst. Es ist klar: Auch Bülach ist von dieser Entwicklung stark betroffen.
Und wie bekommen wir die Wohnungsnot in den Griff?
Sorry, aber stop hier. Schau: Die sogenannte “Wohnungsnot” gab es schon als “Not” noch als “Noth” geschrieben wurde – also schon sehr, sehr lange. Die Leute werden immer dort wohnen wollen, wo ihre Arbeitsplätze sind. In und um die Städte wird also immer eine “Übernachfrage” nach Wohnraum herrschen. Das führt zu einem archetypischen “Preissetzer-Markt” – das lernte ich an der HSG! Das heisst, die Immobilien-Anbieter setzen den Preis fest. Der Preis ist nicht ein Resultat von Angebot und Nachfrage – weder ökonomisch noch rechtlich. Die Immobilien-Anbieter verlangen so hohe Mieten, wie die Leute zahlen können, nicht wollen. Weil wir alle müssen wohnen und Boden konsumieren. Das ist ein Preissetzermarkt, wie im Lehrbuch definiert.
Unsere Verfassung wird dem grundsätzlich gerecht – und hat die Rendite auf Mieten gedeckelt und eine Marktmiete explizit verboten. Aber wie gesagt: die Immobilienfirmen, Banken und Pensionskassen halten sich nicht daran und bei jedem Mieterwechsel wird die Miete einfach um 500 bis 1000 Franken erhöht.
Manche Vermieter argumentieren, dass bei zu eng gefassten gesetzlichen Einschränkungen das Investitionsklima leidet und damit der Wohnungsbau gebremst wird. Was sagst du dazu?
Hallo?
Die Baugesetze werden auf kantonaler Ebene gemacht. Und wer hat die Mehrheit auf kantonaler Ebene? Genau: Die Hauseigentümer. Die Baugesetze sind den Immobilienfirmen relativ egal – ihnen geht es
vielmehr darum, ihr Geld dort zu parkieren, wo es am meisten Rendite abwirft. Selbst wenn wir die Baugesetze lockern würden, würde das höchstens den Immobilieneigentümern mehr Rendite bringen. Aber sicher nicht die
Mieten dämpfen.
Die Mietpreis-Initiative fordert eine regelmässige Überprüfung der Mieten, damit geltendes
Recht – also das Verbot von überhöhten Mieten – endlich durchgesetzt wird. Die Gegner befürchten einen riesigen Bürokratieausbau.
Ich bin Unternehmerin und habe eine IT-Firma. So wie bei allen anderen 600’000 Firmen in diesem Land kommt bei mir alle drei bis sieben Jahre ein Revisor vorbei. Der prüft, ob ich die AHV Abrechnungen korrekt mache. Das Gleiche gilt für die Mehrwertsteuer und die allgemeine Gewinnsteuer. Diese periodische Revisionspflicht ist wichtig und richtig und nie hat jemand “Bürokratie” geschrien. Wieso sollen jetzt Immobilieneigentümer die unrechtmässig Rendite mit dem Vermieten von Wohnraum machen, von einer solchen Überprüfung ausgenommen sein? Zumal es um viele Milliarden geht, die den Mietenden rechtswidrig aus dem Portemonnaie gezogen werden. Diese Überprüfung ist volkswirtschaftlich immanent wichtig.
Als Kostentreiber für die Mieten wird oft der steigende Bodenpreis genannt. Die Mietpreis-Initiative zielt auch darauf ab, die Bodenpreise zu dämpfen. Inwiefern kann eine Initiative auf Mietpreise den Markt für Grundstücke und Boden beeinflussen?
Wenn renditeorientierte Immobilienfirmen immer höhere Mietpreise verlangen, können sie auch immer höhere Preise für Grundstücke bezahlen. Vielerorts haben sich diese Preise in den letzten Jahren verdoppelt. Die Mietpreis-Initiative stoppt diesen Teufelskreis, indem sie die Miete auf der Basis der Kosten plus einer gedeckelten Rendite endlich durchsetzt. Mit der automatischen und regelmässigen Überprüfung wird dies die Mietpreise auf das gesetzlich korrekte Niveau senken. Komplett überrissene Boden-Kaufpreise werden uninteressant. Kurz: Es würden wieder Wohnungen von Menschen für Menschen zum Wohnen gebaut, statt Immobilien als reine Kapitalanlagen zur Erzielung von Rendite.
Oft wird die Verdichtung durch Abriss der Altbauten als Lösung genannt für mehr Wohnraum und für die Entschärfung von steigenden Mieten. Die Realität zeigt aber – wie z.B. in Bülach am Moritz-Meyer-Weg – dass ein Abriss zu deutlich höheren Mietzinsen führt (am Moritz-Meyer-Weg voraussichtlich zu einer Verdoppelung des Mietzinses für eine 3.5 Zimmer Wohnung). Was wären Alternativen?
Hört mal auf. Mehr bauen hilft nichts gegen die hohen Mietpreise. Zwischen 2008 und 2021 wurde die Leeerwohnungsziffer verdoppelt – auf den zweithöchsten Stand aller Zeiten! Das heisst, wir haben weit über die Zuwanderung ausgebaut. Sind die Mieten wegen des hohen Leerstands gesunken? Nein, sie sind massiv gestiegen. Das ist der Beweis, dass wir uns in einem Preissetzermarkt befinden. Ausser der Gesetzgeber sagt: “Nein, du darfst keinen beliebigen Preis setzen.” Deshalb, ich wiederhole mich, muss A das Mietrecht durchgesetzt werden und B braucht es mehr Genossenschaften, das heisst, mehr Wohnbauträger, die sich freiwillig an die Kostenmiete mit Renditedeckel halten.
Das heisst: es braucht mehr Boden im öffentlichen Eigentum – also dem Eigentum der Gemeinde, das heisst es braucht dringend ein Ja zur “Initiative für mehr bezahlbare Wohnungen” Ende November!
Genossenschaften haben genug Geld um Wohnraum zu bauen, aber sie kommen nicht an das Bauland heran. Das würde mit der Initiative deutlich besser.